Wie sich Lücken in teilautomatisierten Prozessen schließen lassen
Die Medizintechnologiebranche wächst stärker als andere Branchen und erlebt in der Gegenwart einen echten Wandel: Immer mehr innovative Produkte werden entwickelt, um Patienten zu helfen und das Gesundheitssystem langfristig zu entlasten. Größte Hürde: Die Medizinprodukte müssen unter Einhaltung aller regulatorischen Standards erst zur Marktreife gebracht und dann bestenfalls vollautomatisiert gefertigt werden, da das manuelle Handling den größten Kostentreiber darstellt.
Kommt eine Automatisierung (noch) nicht in Frage, muss zumindest sichergestellt werden, dass Arbeitsplätze und Schnittstellen zu den vor- und nachgelagerten Abläufen unter Berücksichtigung aller quantitativen und qualitativen Gesichtspunkte optimal integriert werden können. Weit größer ist der Hebel allerdings, wenn Unternehmen Prozesse und Anlagen in ein ganzheitliches Fertigungskonzept einbetten, der die gesamte Wertschöpfungskette von der Rohstoff-/Teileanlieferung über die Montage bis zur Auslieferung der fertigen Medizinprodukte berücksichtigt.
Vorteile von Klebeverbindungen an Medizinprodukten
Besonderes Augenmerk liegt – nicht nur wegen der hohen regulatorischen Anforderungen – auf der Montage von Medizinprodukten, die nicht selten unter Reinraumbedingungen stattfindet. In der Montage von Medizinprodukten hat die Klebetechnik als innovatives Fügeverfahren an Relevanz gewonnen. Vorreiter waren die Elektronik- und Automobilindustrie, die die Vorteile des Klebens erkannten. Die Medizintechnik hat nachgezogen. Das Potenzial der Klebetechnik in der Medizintechnik wurde erkannt und wird nach und nach das klassische Laserschweißen ablösen.
Hersteller von Medizinprodukten profitieren auf vielerlei Weise vom Kleben:
- Die thermische Belastung der Fügewerkstoffe ist gering oder nicht vorhanden. Mittel der Wahl sind UV-Klebstoffe oder Cyan Acrylate. Thermisch aushärtende Klebstoffe werden nur in Sonderfällen eingesetzt.
- Oberfläche und Gefügestruktur der zu fügenden Bauteile bleiben beim Kleben unverändert.
- Eine Klebeverbindung kann gleichzeitig abdichtende Eigenschaften haben – ggf. lassen sich so Montageprozesse verschlanken und Kosten senken.
- Geklebt werden kann nahezu das gesamte Spektrum an Bauteilgrößen – von ganz klein, bis zu sehr groß.
- Eine Klebeverbindung mit UV-Klebstoffen lässt eine Repositionierung von Bauteilen in der Montage zu. Mittels „active alignment“ kann nachjustiert werden – erst UV-Licht härtet den Kleber aus und vollendet den Fügeprozess.
Ein Blick auf die Medizintechnik und speziell auf die Entwicklungen bei Kathetern zeigt, welches Potenzial z. B die Klebetechnik als Bestandteil einer automatisierten Fertigung im Bereich der Katheter Herstellung einnimmt. Es gibt kaum einen Fachbereich in der Medizin, in dem Katheter nicht zum Einsatz kommen. Ob in der Intensivmedizin zur Beatmung, in der Urologie als Blasenkatheter oder in der Kardiologie als Herzkatheter – die Liste für den Katheter-Einsatz ließe sich weiterführen. Vereinfacht ausgedrückt beginnt die Herstellung eines Katheters immer mit der Extrusion der Schläuche, die im nächsten Schritt mit den so genannten Konnektoren verklebt werden müssen. Diese Klebeverbindung muss gleichzeitig die Dichtigkeit des Katheters sicherstellen. Ein optimaler Prozess verbindet das Extrudieren, Schneiden und Verkleben über einen automatisierten Prozess miteinander, da das Fehlerpotenzial beim manuellen Fügen am höchsten ist.
Hürde für den Klebstoff: Die Sterilisation
Eine Möglichkeit, das Fügen automatisiert zu realisieren, ist die Anwendung rein volumetrischer Dispenser. Unter anderem unter den Namen ViscoTec und preeflow verfügbar, erlaubt diese Technologie ein kontinuierliches und pulsationsfreies Dosieren. Zudem gestaltet sich das Verfahren sanft und scherkraftarm bei allen Medien – unabhängig von der Viskosität der zu verarbeitenden Klebstoffe.
Besonders wichtig bei Medizinprodukten, die am und im Körper zum Einsatz kommen: Glatte und sterile Oberflächen, deren Basis bereits über das Kleben und die spätere Sterilisation gelegt wird. Der dafür zwingend notwendige Fadenabriss des Klebemittels resultiert aus der technischen Umsetzung der volumetrischen Dosiereinrichtung: Die Förderrichtung kann umgekehrt werden. Damit wird – neben dem genannten exakten Fadenabriss – ein Nachtropfen des Mediums sicher vermieden. Die Klebung auch kleinster diffiziler Medizinprodukte ermöglicht preeflow über die Fähigkeit, auch im Mikroliterbereich mit einer absoluten Genauigkeit von +/-1 % fördern und applizieren zu können. Selbst kleinste Klebstoffmengen werden abrissfrei und punktgenau auf die Schläuche aufgetragen – das Volumen ist nachweisbar über den gesamten Produktionszyklus gleich. Die Fördermenge kann wahlweise verändert werden, wenn eine spezifische Komponente des Katheters wie etwa Ballon, Manschetten oder auch Konnektoren es erfordern. Auch nach Anpassung der Fördermenge wird exakt und abrissfrei dosiert. Um alle automatisierten, teilautomatisierten aber auch manuellen Prozesse über eine Dosiertechnologie abdecken zu können, ist der Dispenser technisch für alle Einsatzbereiche konzipiert worden.
In voll- oder teilautomatisierten Prozessen kann der Dispenser über einen Controller (Fußschalter) an die übergeordnete Steuerung angebunden werden. Die Bediener haben beide Hände frei, was das Arbeiten effizienter macht und den Prozess zusätzlich absichert. Bevor die Dispenser-Technologie in der Medizintechnik Anwendung fand, konnte sie sich über viele Jahre in der Automatisierung klebetechnischer Verfahren in der Automotive-Industrie und der Elektronikfertigung etablieren. „Im Fokus der industriellen Fertiger standen und stehen Präzision und kürzeste Taktzeiten. Dieses Know-how floss bei der Entwicklung von Dosierlösungen für die Medizinprodukte ein.“, so Annemarie Brandstetter, Medizintechnik Ingenieurin und stellvertretende Abteilungsleiterin Hygienic Solutions bei ViscoTec. Insbesondere die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen, die die Medizinprodukteherstellung vorgibt, mussten ergänzt werden. Wahlweise können Hersteller von Medizinprodukten speziell auf ihre Bedürfnisse und Produkte hin Dosiertechnologien entwickeln und zertifizieren lassen.
Punktgenau abdichten – 0,3 mm Hohlraumkanülen
Zu weiteren Beispiel-Applikationen, bei denen volumetrische Dispenser ebenfalls das Mittel der Wahl zum schnellen und punktgenauen Dosieren von Kleb-, Hilfs- oder auch Wirkstoffen sind, zählen z. B. das Needle Bonding, aber auch das Auftragen von Silikon auf Wundauflagen oder das Schmieren von Kanülen, zur leichtgängigen widerstandsarmen Nutzung von Nadeln, Kanülen oder Braunülen. Zudem kommen Dispenser zum Einsatz, um blutseparierende Gele in Gefäße zu dosieren, die z. B. bei der Blutentnahme zum Einsatz kommen. Weiteres Einsatzgebiet kann das Abfüllen kleinster Mengen an „dermal fillern“ sein oder das Befüllen von (Zahn-)Implantaten oder Prothesen mit 2K Silikonen.
Gerade am Needle Bonding wird sichtbar, welchen Stellenwert die exakte abrissfreie Applikation kleinster Mengen Klebstoff einnimmt: Hier werden so genannte Hohlnadeln – umgangssprachlich Kanülen – mit dem farbigen Spritzenkopf verklebt. Die Farbe des Spritzenkopfes signalisiert im klinischen Gebrauch den Außendurchmesser einer Kanüle, gemessen in Gauge. Eine gelbe Kanüle hat einen Außendurchmesser von 0,3 mm – hier zeigt sich, welche Vorgaben an eine Dosiereinrichtung gestellt werden, die eine solche Hohlnadel mit dem Spritzenkopf verklebt. Das meint zum einen die absolut feste, aber auch die dichte Verklebung. Denn eine Leckage von Flüssigkeiten, die in den Körper appliziert werden, wäre ebenso fatal, wie eine Undichtigkeit, wenn z. B. Blut aus dem Körper entnommen wird. Das Thema Dichtigkeit spielt zudem eine zentrale Rolle, wenn etwa optoelektronische Komponenten wie Kameras, Leuchten oder Linsen in Endoskope eingeklebt werden – nur wenn diese Verbindung passgenau ist, kann ein Medizingerät 100 % korrekt arbeiten. Ähnlich verhält es sich auch bei Hörgeräten.
Größte Hürde: Zulassung von Technologie, Klebstoff und Prozess
Neben der Dichtigkeit spielt der richtige Klebstoff eine weitere zentrale Rolle. Der Klebstoff muss etwa nach dem Verkleben zur Sterilisation fähig sein und zudem unbedenklich für den Einsatz am Menschen. Schlussendlich muss der Klebstoff überhaupt geeignet für einen vollautomatisierten Prozess sein.
Eine Alternative zum Kleben ist der Mikroverguss von Bauelementen. Angewandt, um Bauelemente in der Medizintechnik zu schützen, isoliert und schützt er Komponenten beim dauerhaften oder punktuellen Einsatz im und am menschlichen Körper vor Temperaturschwankungen und gewährleistet Langzeitstabilität. Ob Mikroverguss oder Verklebung: Die Kombination aus Dosier-Technologie und behördlicher Zulassung der – beispielsweise eingesetzten Elastomere – durch die Food and Drug Administration (FDA) bilden die Basis, um den Medizinproduktemarkt der Zukunft zuverlässig bedienen zu können. Neue Materialien und Anwendungsgebiete, die sich aus der medizinischen Forschung ergeben, werden vielerorts durch eigene F&E Abteilungen bedient, die mit Spezialwissen aus und über das regulierte Umfeld der Medizintechnik, der Pharmaindustrie oder der Kosmetikherstellung aufwarten können. Denn bei der Entwicklung neuer Klebstoffe und Applikationstechnologien sind schlussendlich auch die Qualifizierung der Komponenten und die Validierung des Prozesses von hoher Bedeutung. Das beginnt bereits beim Fluidmanagement und der Entleerung des Gebindes, in dem ein Klebstoff angeliefert wird und bezieht auch die Entgasung und das technische System zum Auftragen ein. Mit dem Wissen um diese Rahmenbedingungen können Medizinproduktehersteller das Dosieren, Kleben und Mikrovergießen automatisieren und damit vielerorts eine Lücke vom teilautomatisierten hin zum vollautomatisierten Fertigungsprozess schließen. Unter Berücksichtigung sämtlicher nationaler und globaler Vorgaben durch die entsprechenden Behörden.